NEOZOON (GER/FRA)10.01. – 30.04.2012

NEOZOON ist ein Künstlerinnen-Kollektiv, das für Aktionen im öffentlichen Raum bekannt ist, die das Verhältnis zwischen Tier und Mensch thematisieren. Für ihre Arbeit in der Street Art Passage setzt das Kollektiv das Mittel des "culture jamming" ein, eine Taktik die benutzt wird um "corporate advertising" zu untergraben.

Interview von Margit Mössmer mit NEOZOON, Dez. 2012

Der Terminus Neozoon bezeichnet eine vom Menschen eingeschleppte, ursprünglich nicht heimische Tierart, die sich in ihrem neuen Habitat freudig vermehrt. In diesem Sinne verbreiten auch das deutsch-französische Künstlerinnen-Kollektiv NEOZOON ihre Pelztiere. Sie schneidet Tiersilhouetten aus alten Pelzmänteln und platziert sie im öffentlichen Raum: Hirsche in Potsdam, Affen in Paris oder Pferde in Wien. Flauschig und schön anzusehen rufen die animalischen Cut-Outs beim Betrachter gerne positive Gefühle hervor. Hinter dem Fell steckt jedoch eine kompromisslose Erforschung des Umgangs einer modernen und großstädtischen Zivilisationsgesellschaft mit dem Tier. Sowohl mit der Wahl ihrer Mittel als auch mit ihrem dezidiert gesellschaftskritischen Ansatz ist die Gruppe innerhalb der Street-Art-Szene sehr eigenständig.

Ihr verwendet keine Spraydose, kein Tape, keine Schablone. Stattdessen ist euer Material ein "objet trouvé", ein "animal mort": Omas alter Pelzmantel. Was war zuerst da, das Material oder die Notwendigkeit nach draußen zu gehen? Der Fund der Materialquellen und die Gründung der Gruppe gingen 2008 Hand in Hand – aber im öffentlichen Raum haben wir unabhängig voneinander bereits vor der Gründung von NEOZOON gearbeitet.

Eure Tiermotive lassen an eine verloren gegangene Natur im Großstadtdschungel denken und sind andererseits eine kritische Stellungnahme zum Umgang mit Tieren in unserer Gesellschaft: Muss die Stadt wieder wilder und der Mensch weniger Raubtier werden? Die Stadt ist hinter dem Deckmantel der Zivilisation immer noch sehr wild. Nur weil man die Tiere nicht mehr sieht, heisst es nicht, dass sie nicht da sind. Man denke z.B. an die vielen gefrorenen Schenkel irgendwelcher Tiere in den Kühlhäusern der Städte. Wenn man sich das gigantische System mal vor Augen führt, das notwendig ist, um eine städtische Wohlstandsgesellschaft mit ausreichend Nahrung zu versorgen, dann wird einem schnell klar, dass der Mensch eindeutig die aggressivste aller Arten ist.

Ihr wollt uns diese Aggressivität vor Augen halten? Im besten Fall werfen unsere Arbeiten Fragen auf: Was war denn dieses schöne weiche Fell mal? Ein wertvoller Pelzmantel? Oder doch ein Tier? Oder am Ende bloß ein Kleidungsstück, das im Müll gelandet ist? Die Antworten darauf sagen etwas über unsere Aggressivität aus, aber auch über unseren Umgang mit Ressourcen.

In Wien hat sich euch vor allem ein Tier aufgedrängt: Das Pferd. Genauer Pferde, die ihre Reiter abwerfen. Eines habt ihr im MuseumsQuartier, den ehemaligen kaiserlichen Hofstallungen angebracht. Ist das ein Piekser in die post-imperiale österreichische Seele? Das kann man gern so sehen. Dieses jahrhundertealte manierierte Getue um Pferd und Reiter und besonders die Repräsentation des Adels durch edle Pferde ist doch inzwischen mehr als überholt. Mit Pferden wird gerne Macht demonstriert, sie erheben ihre Besitzer über das Volk, verkörpern Eleganz und Reichtum. Die klassische Reitschule setzt noch heute auf eine Form der "Bezwingung" des Tieres. Da ist und bleibt der aufregendste Moment doch wirklich der, wenn sich die Tiere ihrer Bezwinger mal entledigen!

Auf Empfehlung der STREET ART PASSAGE VIENNA war NEOZOON im Mai 2011 als Artists-in-Residence des quartier21 im MuseumsQuartier Wien zu Gast.

The term neozoon refers to a non-indigenous animal species introduced by humans that happily reproduces in its new habitat. In this sense, also the German-French artist collective NEOZOON distribute their fur animals in the streets: deer in Potsdam, monkeys in Paris, and horses in Vienna. They cut animal silhouettes out of old fur coats and places them in public spaces. Fluffy and a pleasure to behold, the animal cutouts tend to elicit positive feelings in the viewer. But the fur is motivated by an uncompromising commitment to explore how modern, urban societies deal with animals. The group is a highly autonomous entity within the street art scene, both in the selection of its means and in its decidedly socially critical approach.

You don't use any spray paint, tape, or stencils. Instead, your material is an objet trouvé, an animal mort: grandma's old fur coat. What came first, the material or the necessity to go outside? The discovery of the material sources was contemporaneous with the establishment of the group in 2008 – but we were already working in public space independent of each other before founding NEOZOON.

Your animal motifs are reminiscent of lost nature in the urban jungle, and at the same time they are a critical comment on the way society relates to animals. Should the city become wilder again and human beings a little less predatory? The city is still very wild under the cover of civilization. Just because we don't see animals anymore doesn't mean they are not here. Think of all the frozen limbs of animals in refrigerated warehouses in cities everywhere, for example. Once you become aware of the whole gigantic system that it takes to supply affluent urban society with enough food, you soon realize that humans are by far the most aggressive species.

You want to make us aware of this aggressiveness? In the best case, our projects bring up questions: What did this beautiful, soft fur used to be? An expensive fur coat? Or maybe an animal? Or was it just a piece of clothing that ended up in the garbage? The responses to these questions say something about our aggressiveness as well as the way we handle resources.

In Vienna, you primarily focused on one animal: the horse. Or to be more exact, horses that throw off their riders. You put one at the MuseumsQuartier, the former royal stables. Is it a poke at the post-imperial Austrian soul? You can definitely see it that way. This centuries-old posturing about horses and riders and especially the representation of nobility through thoroughbred horses is more than outmoded at this point. People like to use horses to demonstrate power. They elevate their owners above the people and epitomize elegance and wealth. To this day, classic riding schools emphasize a form of "subjugating" the animals. In effect, the most exciting moment is when the animals finally rid themselves of their subjugators.

On the recommendation of STREET ART PASSAGE VIENNA, the members of NEOZOON were guests at the MuseumsQuartier Wien in May 2011 as quartier21 artists-in-residence.

www.neozoon.org

 


permanente Brüstungsgestaltung, 2011

 


temporäre Intervention,
Leopold Museum, 2011